Krafttraining

Runterkommen. Abschalten. Stress bewältigen.

Loswerden können wir ihn nicht. Sollten wir auch nicht, denn Stress ist ein lebensnotwendiger Mechanismus. Negativem Stress können wir mit körperlicher Aktivität besser die Stirn bieten.

„Sorry, ich kann nicht, ich bin total im Stress“, sagte meine Nachbarin kürzlich. Sie ist alleinerziehend mit Zwillingen im Alter von zweieinhalb Jahren und selbstständig. Es war 20.00 Uhr, die Kids lagen im Bett und sie wollte die „freie“ Zeit nutzen, um eine wichtige Deadline am nächsten Tag einzuhalten.

Was ist Stress?

Umgangssprachlich meinen wir mit Stress meist ein negatives, belastendes Gefühl. Wir fühlen uns irgendwie unter Strom, sind hektisch, gereizt oder nervös. Tatsächlich ist die Definition gar nicht so einfach. Der Begriff „Stress“ stammt aus dem Englischen. Er bezeichnet eine physikalische Größe und meint Druck, Belastung oder Spannung. Im medizinisch-wissenschaftlichen Kontext prägte der Mediziner und Biochemiker Hans Selye (1907−1982) den Begriff Stress. Selye gilt als einer der ersten Stressforscher. Über die Zeit wurde die Stressforschung zunehmend interdisziplinär. Das komplexe Stressgeschehen wird mit Hilfe theoretischer Modelle aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, was eine einheitliche Definition erschwert. Stressforscher Professor Markus Gerber von der Abteilung Sport und psychische Gesundheit an der Universität Basel erklärt Stress so: „Stress lässt sich im weitesten Sinne als Gleichgewichtskonzept begreifen, dessen Status quo (Homöostase) durch innere und äußere Reize gestört wird und durch Anpassungsprozesse ausgeglichen werden kann.“

Was ist ein Stressor?

In der Stressforschung unterscheidet man zwischen Stressor und Stressreaktion. „Ein Stressor ist der Auslöser von Stress. Tatsächlich kann jeder äußere oder innere Reiz zum Stressor werden, wenn er ein Gleichgewicht im System unseres Organismus stört“, so Gerber. Beispiele für physiologische Stressoren sind beispielsweise Hitze, Kälte oder Lärm. Ärgernisse und Konflikte am Arbeitsplatz, schlechte Stimmung oder Mobbing sind Beispiele für psychosoziale Stressoren. Kontrollverlust, Über- oder Unterforderung und Termindruck zählen zu den psychischen Stressoren.

Was ist eine Stressreaktion?

Die Stressreaktion ist die Antwort des Organismus auf den Stressor und resultiert aus der Wechselwirkung mit ihnen. „Unser Organismus versucht, sich anzupassen, um das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen“, sagt Gerber. Die Reaktionen unterscheidet man in körperliche, mentale, emotionale und verhaltensbezogene Stressreaktionen. Zu den mentalen Reaktionen gehören beispielsweise negative Gedanken, Denkblockaden oder Konzentrationsstörungen. Zu den emotionalen Reaktionen zählen Nervosität, erhöhte Reizbarkeit oder Angst. Vermeidungsstrategien wie Fernsehen, Alkohol oder Medikamentenmissbrauch zählen zu den verhaltensbezogenen Stressreaktionen. Als körperliche Antwort schüttet unser Körper einen Hormon-Cocktail aus, der u. a. die Stresshormone Kortisol, Adrenalin und Noradrenalin enthält. Als Folge steigen Blutzucker, Herzfrequenz und Puls. Die Herz- und Skelettmuskulatur wird stärker durchblutet, während die Aktivität anderer Organe heruntergefahren wird. Die Atemfrequenz erhöht sich und wir fangen an zu schwitzen. Kurzum: Unser Körper ist bereit für Kampf oder Flucht bzw. körperliche und geistige Höchstleistungen. Per se ist Stress also nichts Negatives, sondern ein lebensnotwendiger Mechanismus, der es uns erlaubt, auf unsere Umwelt zu reagieren, uns anzupassen, weiterzuentwickeln und zu überleben.

Stress ist subjektiv

Wie stark die Reaktion auf einen Stressor ist, hängt etwa von dessen Häufigkeit, Vielfalt, Dauer und Intensität ab. Doch auch der subjektiven Bewertung kommt in der modernen Stressforschung eine große Bedeutung zu. Haben wir das Gefühl, eine Situation mit unseren bestehenden Fähigkeiten bewältigen zu können, kann Stress positiv wirken (Eustress) und uns zu Höchstleistungen pushen. Umgekehrt erleben wir die Stresssituation als negativ (Distress), wenn wir in wichtigen Situationen das Gefühl haben, ein Problem nicht lösen zu können.

Dauerstress ist gesundheitsgefährdend

Bleibt die Erholung aus, befindet sich unser Körper dauerhaft im Alarmzustand. Und das kann krank machen. „Stress führt dazu, dass Menschen in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt werden und auf Dauer chronische psychische und physische Störungen oder Krankheiten entwickeln und im schlimmsten Fall an ihren Stressbelastungen sterben“, betont Gerber. Zu den Auswirkungen zählen Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafstörungen oder Müdigkeit. Dauerhaft schwächt Stress unser Immunsystem, weshalb wir vermehrt mit Erkältungen zu kämpfen haben.

Außerdem kann Stress gesundheitsschädigende Verhaltensweisen begünstigen wie beispielsweise den übermäßigen Konsum von Nikotin, Alkohol und Medikamenten. Hinzu kommt laut Gerber ein weiterer Faktor: „Stress ist Bewegungskiller Nr. 1. Wir konnten in einer Studie mit Studierenden zeigen, dass sich das Gesundheitsverhalten in Stressphasen in allen Bereichen verschlechtert hat. Die Personen haben weniger geschlafen, ungesünder gegessen und sie waren weniger körperlich aktiv.“ So wundert es nicht, dass Stress häufig in Zusammenhang mit viszeraler Fettleibigkeit steht, was wiederum das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten erhöht.

Stress und der Muskel

Auch unsere Muskeln reagieren auf Stress. Neben positiven Anpassungseffekten, wie eine erhöhte Durchblutung, kann Stress – wenn er dauerhaft anhält – zu einer permanenten Anspannung der Muskeln bis hin zu krampfartigen Zuständen führen. Migräne, Spannungskopfschmerzen oder Muskel-Skelett-Erkrankungen können die Folge sein. Außerdem bewirken einige Stresshormone den Abbau von Muskelproteinen, während andere oxidative Schäden verursachen. Das reduziert die Muskelkraft und beeinträchtigt deren Qualität und Funktion. Aufgrunddessen steigt beispielsweise das Risiko muskuloskelettaler Verletzungen schon bei normalen Belastungen. Was also tun?

Verbesserung der Stresskompetenz

Der Umgang mit Stress lässt sich lernen, z. B. in Stressbewältigungstrainings oder Stressmanagementtrainings, die darauf zielen, eine sogenannte Stresskompetenz zu entwickeln. Informationsmaterial oder Kurse bieten beispielsweise Krankenkassen und speziell geschulte Trainer. Aber auch durch körperliche Aktivität können wir Stress die Stirn bieten. Gerber erklärt: „Körperliche Aktivität ist eine effektive Maßnahme zur Prävention und Bewältigung von Alltagsstress.“ Der Stressforscher unterscheidet vier verschiedene Wirkweisen: „Körperliche Aktivität kann helfen Stressoren zu reduzieren, unsere personalen Ressourcen zu stärken, Stressreaktionen abzumildern und die Gesundheit zu stärken.“

Mit körperlicher Aktivität Stressoren reduzieren

Präventiv kann körperliche Aktivität dazu beitragen, dass Stressoren gar nicht erst auftreten oder abgeschwächt werden. „Den größten Effekt übt körperliche Aktivität vermutlich im Hinblick auf chronische Erkrankungen aus, die selbst als bedeutende Stressoren wirken.“ Ein Beispiel sind chronische Rückenbeschwerden. So kann Krafttraining beispielsweise helfen, diesen vorzubeugen, sie zu lindern oder zu beseitigen. „Man spricht in diesem Zusammenhang von instrumentellem Coping bzw. problemfokussierter Stressbewältigung. Sprich: Sie können aktiv etwas dagegen tun, um die stressauslösenden Umstände gar nicht erst auftreten zu lassen“, so Gerber.

Mit körperlicher Aktivität Ressourcen stärken

Körperliche Aktivität wirkt aber auch stresspuffernd, wenn sie die personalen Ressourcen stärkt und uns gegenüber Stressoren und im Hinblick auf die Stressantwort widerstandsfähiger macht. Zu den Ressourcen, die durch körperliche Aktivität potenziell gestärkt werden können, zählt die Selbstwirksamkeit. Gemeint sind einerseits motorische Kompetenzen und die Fähigkeit, zu planen und trotz Barrieren dranzubleiben. Gemeint ist aber auch die Überzeugung, Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können. Krafttraining kann das Gefühl der Selbstwirksamkeit unterstützen und zudem zu einem verbesserten Selbstwertgefühl beitragen. Dies kann zusammen mit einer positiven Weltanschauung zu weniger starken Stressreaktionen führen.

Stressreaktionen verringern

Es gibt noch einen weiteren stresspuffernden Effekt. Gerber erklärt: „Körperliche Aktivität kann unsere physiologischen und psychologischen Stressreaktionen reduzieren und deren gesundheitsschädliche Auswirkungen abpuffern“. So lassen sich etwa die Hormonantwort (z. B. Kortisolausschüttung) und die kardiovaskuläre Antwort (z. B. die Herzfrequenz) in ihrer Stärke dämpfen und in der Dauer verringern.

Mit körperlicher Aktivität Gesundheit stärken

Außerdem stärkt körperliche Aktivität unsere Gesundheit und damit die Stressresistenz. „Sie wirkt quasi auf die gleichen gesundheitlichen Risikofaktoren wie Stress – allerdings als kompensatorisches Gegengewicht.“ Es wird übrigens angenommen, dass Menschen, die durch regelmäßige körperliche Aktivität über eine gute Gesundheit verfügen, längere Zeit unter hohem Stress stehen können – ohne körperliche oder psychische Folgen. In diesem Sinne: Körperliche Aktivität hilft, unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken und im Umgang mit Stress gelassen und gesund zu bleiben. Also: Dranbleiben, weitertrainieren und gelassen bleiben – auch wenn es mal nicht rundläuft.


Text: Tania Schneider

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